Aphasie

Was ist Aphasie?

Aphasie ist eine erworbene Störung der Sprache, bewirkt durch eine Schädigung der sprachdominanten Hälfte des Gehirns. Bei den meisten Menschen befindet sich das Sprachzentrum in der linken Hälfte des Gehirns.

Ursachen für Aphasien sind u.a. Schlaganfall, Hirnblutungen, Unfall, Tumore. Der Begriff "Aphasie" kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt "ohne Sprache". Zumeist handelt es sich aber nicht um einen vollständigen Verlust der Sprache. Je nach Ort und Ausmaß der Hirnschädigung ist die Sprachstörung mehr oder weniger schwer. Zudem verändert sie sich im Verlauf der Genesung. Man spricht auch von unterschiedlichen Aphasieformen. Oft sind bei einer Aphasie alle Bereiche des Sprachvermögens betroffen: das Finden und Kombinieren von Lauten, Wörtern und Sätzen (expressives Sprachvermögen), das Verstehen von Wörtern und Sätzen (rezeptives Sprachvermögen), das Lesen und Schreiben sowie die Fähigkeit, Zahlen zu verarbeiten.

Menschen mit einer Aphasie sind jedoch nicht geistig behindert! Sie können logisch denken und Situationen richtig erfassen und beurteilen. Manchmal aber erschweren eine ganze Reihe von Begleitsymptomen sprachlicher und nichtsprachlicher Art die Kommunikation zusätzlich. Aus diesem Grund kann es wichtig sein, im Umgang mit Aphasikern bestimmte Verhaltensweisen zu beachten.

Verlauf von Aphasien

Aphasien bleiben nicht gleich, sie entwickeln sich. Ob und wie weit sich eine Person erholen kann, ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig: Ort und Größe der Schädigung, Alter des Patienten, individuellen Voraussetzungen, Therapiefrequenz etc. Im klinischen Bereich unterscheidet man drei Stadien bzw. Phasen von Aphasien:

1. Akutphase:

Bis zu 6 Wochen nach dem Ereignis. In dieser Phase verändert sich die sprachliche Symptomatik noch sehr stark, ist noch nicht klassifizierbar (Syndromwandel). Manchmal bildet sie sich spontan zurück (Spontanremission).

2. Postakute Phase:
Ab der 6. Woche bis zu einem Jahr nach dem Ereignis. In dieser Phase bildet sich eine spezifische Symptomatik heraus und es ist möglich, die Aphasie einer bestimmten Form zuzuordnen (s. unten, Syndrome). Fortschritte sind weiterhin möglich.

3. Chronische Phase:
Ab einem Jahr nach dem Ereignis. Fortschritte sind weiterhin möglich, kommen aber langsamer.

Wie viel Zeit und welche Hilfen ein Mensch benötigt, um aktiv und kommunikativ wieder am Leben teilzunehmen, ist individuell sehr verschieden. Die Erfahrung zeigt aber, dass auch nach vielen Jahren noch sprachliche Verbesserungen vorkommen können. Das Engagement in Selbsthilfegruppen oder die Teilnahme an so genannten Aphasie Intensivtherapien wirken sich auch nach vielen Jahren noch positiv auf die Sprache aus.

Umgang mit Aphasikern

„Man kann nicht nicht kommunizieren“
(Paul Watzlawick, Kommunikationswissenschaftler und Psychotherapeut, 1921-2007)

Wie stark auch die Sprache gestört sein mag: Wir teilen uns immer mit: durch Laute, Gesten, Mimik, Blicke, Körperhaltung und –bewegung, Nichtreagieren. Obwohl nach hirnorganischen Erkrankungen auch diese Fähigkeiten eingeschränkt sein können, bleiben sie doch in der ein- oder anderen Weise erhalten.

Sich einander zuzuwenden und sich mitzuteilen ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Manchmal aber überschatten negative Stimmungen oder Wahrnehmungsprobleme den Antrieb. Aphasien und ihre Begleitsymptome erschweren demnach die Interaktion insgesamt.

Es macht also Sinn, zu schauen, was die Interaktion zwischen aphasischen und nichtaphasischen Menschen erleichtern kann:

Allgemeine Empfehlungen:

  • Kommunikation ist ein gegenseitiger Prozess: Beide Partner sollten sich aufeinander einstellen!
  • Nehmen Sie sich Zeit für das Gespräch
  • Prüfen Sie: Muss das, was ich noch tun möchte, unbedingt jetzt getan werden?
  • Wenn das Sich-mitteilen gerade nicht gelingt: Entlasten Sie den Partner oder verschieben das Gespräch
  • Bedenken Sie: Auch das, was ich nicht laut sage, teilt sich dem anderen mit!
  • Bedenken Sie: Was kann mein Partner können? Welche Fähigkeiten sind eingeschränkt?

Grundsätzliches für die Gesprächssituation:

  • Keine Kindersprache verwenden
  • Kein extralautes Sprechen 
  • Respektierung des Menschen, nicht des „Kranken“ 

Im Gespräch mit Aphasikern stören:

  • Hintergrundgeräusche
  • Zeitdruck
  • Durcheinander reden
  • Etwas tun und gleichzeitig sprechen

Im Gespräch mit Aphasikern helfen:

  • Blickkontakt
  • Ruhe
  • Zeit
  • Stift und Papier
  • Kommunikationsbücher 
  • Gestik, Mimik
  • Gegenseitige Entlastung: „Später“
  • Signalisieren von Verständnis

Damit Sie den Aphasiker besser verstehen:

  • Warten: nicht den Redefluss unterbrechen
  • Warten: nicht voreilig mit Worten aushelfen
  • Warten: Pausen aushalten
  • Nichtverstehen mitteilen
  • Verstandenes wiedergeben: „Ich habe jetzt DAS verstanden: meintest du das?“
  • Wenn der Andere aufgibt: Ermutigen, helfen, z.B. durch Ja-/ Nein-Fragen, Gesten
  • Bei Hängenbleiben einschreiten
  • Formfehler nicht berichtigen, wichtig ist der Inhalt!
  • Nicht zum Nachsprechen auffordern außerhalb einer Übungssituation!

Damit der Aphasiker Sie besser versteht:

  • Gesprächsbeginn signalisieren: „Hör mal, Peter..“
  • Themenwechsel ankündigen: „Jetzt will ich über xxx sprechen…“
  • Langsam und deutlich sprechen
  • Pausen machen
  • Kurze, einfache Sätze verwenden
  • Bei Unverständnis: Wörter wiederholen / anderes Wort suchen
  • Wichtige Worte betonen

Kommunizieren bei Aphasie bedeutet:

  • Geduld haben
  • beobachten
  • mitdenken
  • verstehen wollen
  • Verständnis zeigen
  • mit dem Herzen hören

Ursachen von Aphasien

Hirngefäßverschluss:
Eine Mangeldurchblutung der Hirnarterien kann beispielsweise durch eine Thrombose oder eine Embolie ausgelöst werden. Bei beiden werden Hirngefäße verstopft. Eine Folge hiervon ist der plötzliche Ausfall wichtiger Körperfunktionen (Sprechen, Schlucken, Sehen, Bewegungsfähigkeit einer Körperhälfte). Ein Schlaganfall hat stattgefunden (Ischämischer Infarkt).

Hirnblutungen:
Bei einer Hirnblutung reißen Blutgefäße im Gehirn und Blut tritt in das Hirngewebe ein. Ursachen hierfür sind häufig jahrelanger unbehandelter Bluthochdruck, brüchige Gefäßwände oder Gefäßmissbildungen bzw. Gefäßaussackungen, in denen sich Blut sammelt, so genannte Aneurysmen. Die Durchblutung des Gehirns wird plötzlich unterbrochen und Körperfunktionen fallen aus. Ein Schlaganfall hat stattgefunden (Hämorragischer Infarkt).

Schädel-Hirn-Verletzungen:
Hirngewebe kann auch direkt geschädigt werden, z.B. bei Unfällen. Werden hierbei die sprachrelevanten Gebiete verletzt oder gequetscht, ist eine Aphasie die Folge. Zur Vermeidung von Unfällen kann jeder selbst beitragen, indem er z.B. beim Fahrradfahren einen Helm trägt oder beim Motorradfahren eine defensive Fahrweise pflegt.

Gehirntumore:
Die operative Entfernung eines Hirntumors im Bereich der sprachdominanten Hirnhälfte ist nicht ungefährlich. Hirngewebe kann dabei verletzt werden und eine Aphasie die Folge sein.

Gehirnentzündungen:
Enzephalitis (Entzündung des Gehirns) oder Meningitis (Entzündung der Hirnhäute) können das Sprachsystem sowie andere zentrale Körperfunktionen wie z.B. Atmung, Schluckreflex, Bewegungsfähigkeit langfristig schädigen. Auch hier kann jeder vorbeugen, indem er z.B. die Impfempfehlungen (Zecken, Mumps, Masern etc.) berücksichtigt.

Degenerative Erkrankungen / Hirnabbauprozesse:
Einige Erkrankungen des Gehirns verursachen Abbauprozesse, die sich verschieden stark auf die Sprache, das Sprechen und das Schlucken auswirken. Hierzu gehören u.a. Demenzformen (z.B. Alzheimer-Demenz), die Parkinsonsche Krankheit (Morbus Parkinson) oder Multiple Sklerose.

Begleitsymptome

Oft ist bei einer Aphasie nicht nur die Sprache betroffen. Andere Symptome können die Kommunikation zusätzlich erschweren:

Stimm- und Sprechstörungen (Dysarthrien, Sprechapraxien)
Teilweise ist nach einer hirnorganischen Erkrankung die Artikulation erschwert. Die für die Artikulation notwendige Koordination von Atmung, Lippen, Zunge, Muskelspannung im Mund- und Rachenbereich ist gestört. Manchmal sind auch der Stimmklang und die Sprechmelodie verändert. Auch diese Beeinträchtigungen können durch die Sprachtherapie verbessert werden.

Schluckstörungen (Dysphagie)
Viele Betroffene leiden gerade in der ersten Zeit unter Schluckstörungen. Auch das Schlucken kann mit therapeutischer Unterstützung wieder erlernt werden. Logopäden oder Sprachtherapeuten führen ambulant Schlucktherapien durch.

Halbseitenlähmungen (Hemiparese)
Da die Nervenbahnen im Gehirn zur anderen Körperhälfte kreuzen, ist bei Aphasikern oft die rechte Körperhälfte von Lähmungserscheinungen betroffen. Die linke Hirnhälfte wurde geschädigt, das Sprachzentrum sowie nebenliegende motorische Hirnareale betroffen, die Nervenbahn kreuzt, somit tritt die Lähmung auf der rechten Seite auf.

Veränderte Körperwahrnehmung / Sensibilitätsstörungen Berührungen, Temperaturunterschiede und Schmerzen werden zum Teil schlecht oder verfälscht wahrgenommen (Dysästhesien).
Ebenso kann es vorkommen, dass die gelähmte Körperhälfte gar nicht mehr wahrgenommen wird (Neglect).

Störungen der Bewegungskoordination (Apraxie, Ataxie)
Die Planung und Ausführung von Bewegungen und Handlungsabläufen kann gestört sein. Oftmals so stark, dass selbst eingeübte Handlungen wie z.B. das Bürsten der Haare oder die tägliche Rasur nicht selbständig durchgeführt werden können. Ergotherapeuten unterstützen die Betroffenen beim Wiedererlernen dieser Alltagsfähigkeiten.

Gesichtsfeldausfälle (Hemianopsien)
Es können Sehbehinderungen durch Einschränkungen eines Gesichtsfeldes vorkommen. Die Raumwahrnehmung ist hierdurch verändert. Insbesondere das sich Bewegen im Straßenverkehr kann aus diesem Grund stark erschwert sein.

Krampfanfälle (Epilepsien)
Viele Aphasiker kämpfen mit wiederkehrenden Krampfanfällen. Hier ist es wichtig, nicht aufzugeben, bis die wirklich passende Medikation gefunden ist!

Störungen von Konzentration, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Gedächtnis (Neuropsychologische Auffälligkeiten)
Oft treten bei Aphasikern plötzliche Konzentrationseinbrüche auf. Das Gehörte oder Gesehene kann nicht mehr verarbeitet werden, es rauscht einfach vorbei. Grund hierfür ist eine verminderte Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne. Auch fällt es Betroffenen manchmal schwer, sich Dinge im Alltag zu merken. Manchmal ist auch das Langzeitgedächtnis gestört. Alle genannten Bereiche können ambulant mit Unterstützung eines Neuropsychologen trainiert werden.

Veränderung des Antriebs
Aphasikern fällt es oft schwer, selbst aktiv zu werden und wie gewohnt die Initiative zu ergreifen. Eine Selbsthilfegruppe kann hier Abhilfe schaffen, denn in der Gruppe ist es leichter, sich gegenseitig zu motivieren.

Auffälligkeiten im Gefühlsbereich und sozialen Verhalten
Nach einer hirnorganischen Erkrankung kann es vorkommen, dass Gefühle oft schlechter kontrolliert werden können. Ärger, Freude und Trauer werden spontaner geäußert. Oftmals müssen Familie und Freunde sich erst an dieses veränderte Verhalten gewöhnen. Viele Aphasiker entwickeln auch Depressionen oder Ängste, z.B. sozialer Art oder vor einem erneuten Schlaganfall. Es ist wichtig, diese zu erkennen und sich Unterstützung zu holen: durch Gespräche mit Freunden oder der Familie, Psychologen, Seelsorgern, Ärzten.